Wieder ein Fundstück, diesmal ohne Datum. Eine Geschichte für die Zeit zwischen den Jahren.

Die Garagen mit ihren rostrot, graublau und blassgrün gestrichenen Toren stehen eine neben der anderen, entlang der Bahngleise, am Stadtrand von Schönfeld. Es ist Winter. Über allen Farben liegt ein Schleier aus schmutzigem Pulverschnee. Wie mit Ruß versetzter Zuckerguss klebt er auf den Dächern und Gauben der tristen Wohnblöcke und Funzeln werfen mattgelbes Licht auf die Schwellen der schmalen Eingänge. In den Wohnungen schnüren Menschen würfelförmige Pakete. 30 cm Durchmesser dürfen sie haben und circa 15 kg schwer sein. Höchstens. Das sind die Bestimmungen, und die sind bindend. Continue reading

Komme nach Hause und beginne rückwärts darüber zu schreiben, wie ich einst nach Hause kam und in den Himmel blickte. Der Mond war hell und viele Sterne waren zu sehen. Die Baumkronen bewegten sich nicht, da kein Wind ging. Wie feucht es war, davon schrieb ich nicht. So gar nicht kalt für einen Januar. Und dennoch zogen keine Nebelschwaden um die Wipfel oder über Wege, Gatter, Zäune, den Winterweizenpflänzchen, die da standen auf dem Feld, in Reih und Glied. Dazwischen Rehe. Continue reading

Noch ein Text aus der Reihe “Meine Lieder sind klüger als ich”

1.

Ich war fischen!

Glauben Sie bitte nicht, dass mir das Spaß macht. Ich habe es aufgegeben Erlösung von der Welt in den leuchtenden Bildern polnischer Weizenfelder zu suchen, in dem satten Flattern aufstiebender Moorkraniche zu hören, oder im harzigen Duft frisch gespalteten Holzes zu schmecken. Aber ich klammere mich an diese Vorstellungen wie eine Ertrinkende, weil ich mich danach sehne wenigstens einmal dieselbe Sprache zu sprechen wie meine Mitreisenden. In unseren Körpern und in unserem Geist sind wir ständig vom einem zum anderen Umsteigebahnhof unterwegs. Ein Nomade lebt nach strengeren Regeln als jeder Stubenhocker, und er wird auch nicht steif und feist dabei. Es hat 40 Jahre gedauert bis ich begriffen habe, dass das einzige Dach über meinem Kopf mein Körper ist. Ich war unversehrt, und mir war alles egal. Aber jetzt sind die Schatten die ich werfe meine Schindeln, und die Fäden die ich ziehe meine Wurzeln. Ich darf die Spuren die ich hinterlasse nicht verwischen, wenn mir daran gelegen ist, wieder aufzubrechen. Freiheit ist eben nicht gekappte Bande, geschütteltes Brot. Freiheit ist, zu fühlen wo man herkommt, zu jeder Zeit, und zu wissen wohin man gehen will, wenn es soweit ist. Wohin man kommt, ist eine andere Geschichte. Es ist die Geschichte. Es ist die Reise. Continue reading

Und die Liebe zu sich selbst. Mich hat schon der erste Gedichtzyklus von Claire Plassard und Florian Vetsch begeistert. Mit dem zweiten Band “Ein dünner Faden hält alles zusammen” haben sie mich aufgewirbelt, hochgehoben und auf eine neue und vielversprechende Umlaufbahn katapultiert. Dort hält mich dieser dünne Faden zusammen – Schreiben kann Leben retten. Jeden Tag mindestens einen Satz von Belang zu verfassen, ist schon viel. Continue reading

#andwhataboutthelyrics Folge 14

Diesen Text habe ich für einen Song von FM Einheit geschrieben. Es ging ganz schnell in der konzentrierten Arbeitsathmosphäre seines Hauses in Bayern. FM kocht jeden Tag ausgeklügelte köstliche Gerichte und seine Frau, die Kostüm- und Bühnenbildnerin Stephanie Geiger, richtet die Speisen an wie kleine Gemälde. Caldeira, das ist Portugiesisch für Kessel. Der eines Vulkans, aber auch der, in dem gekocht wird. Über offenem Feuer. Ich habe nicht nur die Geräusche, Gegenstände und Töne des Hauses in den Text einfließen lassen, die sowieso zu hören und zu sehen waren, sondern auch andere, die davor da waren und welche, die noch kommen.

Der Song zu diesem Text ist Teil der Episode 9 von FM Einheits Podcast-Serie FM Moldule Schnittstelle / Interface

Caldeira – mein Mund

Wenn ich ein Mädchen bin
Das Kleider trägt
Trage ich nur welche aus japanischem Papier
Ich bewege mich darin wie ein Insekt
In einer Kammer aus Luft
Einer Schatulle aus Klang
Im Licht und Schatten der Jahreszeiten
Bei Ebbe und Flut

Und meine Worte sind Wasserringe
In allen Farben des Wassers Continue reading

#andwhataboutthelyrics Folge 13

Mein Vater konnte im Gespräch prima abschalten. Es gab zum Beispiel eine kurze Liste mit Fragen zu meinem Berufsleben, die meistens beim Essen abgehakt wurden. Er stellte die erste Frage, kurz bevor er sich einen Bissen in den Mund schob, und während ich sprach und er kaute, rieb er sich die Hände und schaute mit leicht verschwommenen Blick umher. Wenn vor dem nächsten Bissen keine neue Frage kam, redete ich weiter. Continue reading

#andwhataboutthelyrics Folge 12

Ein Bild von mir das älter ist als ich – Tiefenschärfe (für Vivian Maier)

Ich weiß nicht, wann das los ging mit den Selfies. Meines Wissens war Vivian Maier die Erfinderin des Genres. Ich habe 1988 die ersten Fotos mit Selbstauslöser von mir gemacht. Ich bin irgendwo in den österreichischen Bergen auf Diät. Sitze in einem ausgetrockneten Flussbett auf Geröll, werfe einen Stein. Es sieht dynamisch aus, bleibt aber trotz der großen Brennweite ohne Bedeutung. Auf einem anderen Bild kauere ich im Dämmerlicht einer Dachkammer auf dem Rand einer Matratze. Continue reading

(noch ein Lied für Jane Bowles)

Es gibt einen weiteren Weg
Siege, die ich errungen habe
Ein zweites Herz
Einen stillen Weg aus Träumen über laute Plätze
Entlang tiefer Schluchten
Über Brücken
Die ich baue
Mit einem einzigen, stimmigen Satz
Baumele ich
Diebin
Die ich bin
Kopfüber von der Balustrade
Kopfüber aus der Welt
Mit einem zweiten wandele ich unter hängenden Gärten
Nasche von Früchten
Kaue Pilze
Esse vom Baum des Lebens und der Erkenntnis
Lösche meinen Durst mit Morgentau
Mit einem dritten überspringe ich Zeiten
Vierundzwanzig Stunden am helllichten Tag
Überwinde ich Weiten
Wüsten
Ohne Wasser
Ohne Kompass
Ohne Brot
Nichts
Außer Worten…, nein
Warten!
Ich meinte: Warten
Mit einem vierten verkündige ich
Das Ende vom Lied
Das Ende vom Lied
Ohne neuen Anfang
No Da capo
Ich mache Schluß

(sie singt:)
Don`t mess with my angel
With my broken wings
For my broken heart
It sings
It sings
I am free
In my cage
Let me be

Und stehe halb versteckt im Schatten der Markise auf dem Markt
Halb verstrahle ich mein eigenes Licht in dunklen Gassen
Halb Fliegengewicht bin ich
Halb Monster
Und ich
Diebin
Die ich bin
Bin da draußen
Jenseits von allem was jemals gewesen
Heiß ist es gewesen
Und trocken
Und dann wieder kalt und feucht
Und klar und verschwommen
War alles da
Wo jetzt nichts ist
Ich nicht die bin
Diebin
Dich ich war
Herzbubedamekönigass
Und ich werde nichts mehr sein

Am frühen Morgen sehe ich die Schiffe ablegen
Am Nachmittag steigen Drachen auf
Am Abend spielen junge Hunde am Strand mit den zurückweichenden Wellen
Nachts ertrinken Liebespaare in der Flut
Und ich
Diebin
Die ich bin
Sehe alles von außen
Außerhalb
Halb Ohrtaub und Staub auf den Lidern
Halb Mundstumm und Spinnweben
In jedem meiner Winkel
Klimmzüge
Hinweg über die Balustrade
Hinaus aus der Welt
Dort bin ich
Diebin
Die ich bin
Ganz da
Hinter Glas
Ganz da
Höre nichts
Ganz da
Kein Lachen
Ganz da
Kein Rufen
Keine erstickten Schreie
Es singt kein Mensch
Es heult kein Tier
Es ist das Ende vom Lied
Das Ende vom Lied
Weil ich es so will

(sie singt:)
Don`t mess with my angel
With my broken wings
For my broken heart
It sings
It sings
I am free
In my cage
Let me be

Es gibt einen weiteren Weg
Siege, die ich errungen habe
Ein zweites Herz
Einen stillen Weg aus Träumen über laute Plätze
Entlang tiefer Schluchten
Über Brücken
Die ich baue
Mit einem einzigen, stimmigen Satz
Baumele ich
Diebin
Die ich bin
Kopfüber von der Balustrade
Kopfüber aus der Welt

© Katharina Franck, 20.8.2004